Klar – erst einmal freut sich jeder darüber, wenn Erdöl billiger wird und man an der Tankstelle, beim Heizöl und eventuell sogar irgendwann wieder einmal beim Flug in den Urlaub weniger zahlt. Nebenbei bemerkt: Dass Fluggesellschaften noch immer einen Kerosinzuschlag kassieren, ist eine Frechheit – denn so billig wie momentan war der Treibstoff schon lange nicht mehr zu bekommen.
Natürlich gibt es auch noch ein paar weitere Konsequenzen des Preisverfalls beim Öl, die über die Freude an der Zapfsäule hinausgehen:
- Die erdölproduzierenden Staaten im Nahen und Mittleren Osten stehen teilweise schon seit Jahrzehnten im recht gut begründeten Verdacht, den anti-westlichen und antisemitischen Terror zu finanzieren; je weniger Geld dort ankommt, umso besser für unsere Sicherheit.
- Auch weitere auf Öl basierende Produkte und Dienstleistungen dürften wieder billiger werden, zumindest aber nicht weiter im Preis steigen. Das sind aus Erdöl hergestellte Produkte (und hier nicht nur Treibstoffe, sondern auch Kunststoffe und andere chemische Erzeugnisse) sowie energie-intensive Dienstleistungen, vor allem im Transportbereich, was wiederum Auswirkungen auf die Preise für Reisen sowie auf alle Waren hat, die nicht lokal oder regional produziert, sondern über weite, teils globale Entfernungen transportiert werden müssen.
- Die Zuversicht betreffend des zukünftigen Verlaufs des Ölpreises sinkt, die Volatilität steigt – und damit die Unsicherheit für alle Industrien, in denen Erdöl oder auf Erdöl basierende Waren und Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielen.
- Zuletzt, aber sicherlich nicht unwichtig ist der Preis des Erdöls auch ein Signal an die Produzenten, ihre Investitionen in die Erschließung neuer Lagerstätten zurückzufahren – denn die rechnen sich in aller Regel nur dann, wenn der Preis für Erdöl dauerhaft bei USD 70 oder mehr liegt.
Vor allem der letzte Punkt hat Auswirkungen über die Erdölbranche hinaus: Viele Zulieferfirmen zählen Unternehmen aus dem Bereich Oil and Gas zu ihren wichtigeren Kunden. Erdöl kann nur deshalb so preiswert gefördert, raffiniert und transportiert werden, weil die Prozesse entlang der Wertschöpfungskette in hohem Maße automatisiert sind.
Es ist, genau betrachtet, schon recht verwunderlich, dass ein Liter Benzin billiger ist als manches Tafelwasser oder der lokal produzierte Apfelsaft – obwohl es sich um ein hochtechnisiertes Produkt handelt, dessen Rohstoff am anderen Ende der Welt gefördert, über tausende Kilometer transportiert und mit hohem Aufwand in gebrauchsfähige Form gebracht werden muss.
Solange es im Ölgeschäft gut läuft (sprich: die Preise steigen), investieren die Produzenten gerne und viel in immer effizientere Anlagen, die mit weniger Personal in kürzerer Zeit mehr fördern und dabei Verluste und Ausfallzeiten minimieren.
In der gegenwärtigen Situation hingegen fahren die Erdölförderer diese Investitionen zurück – mit teils erheblichen Auswirkungen auf die Situation der Anbieter von Automatisierungstechnik. Die bekommen jetzt mit voller Wucht zu spüren, dass ein sinkender Ölpreis auch negative Auswirkungen hat, und zwar auf ihre Absatzzahlen.
Das sehen wir momentan auch in den Quartalszahlen aller Unternehmen, die Automatisierungstechnik für die Ölbranche herstellen oder gar gleich ganze Fördersysteme anbieten.
Das hat dann auch Auswirkungen auf die langfristige Stabilität in der Industrie:
Deshalb kürzen die Konzerne ihre Investitionen in neue Ölquellen. Analysten schätzen, dass mittlerweile Projekte im Volumen von 200 Milliarden Dollar auf Eis gelegt wurden. Das Streichkonzert gefährdet den Ölnachschub von morgen. In einigen Jahren könnten Angebotsengpässe und starke Ölpreissteigerungen drohen.
Eine Hoffnung für die Hersteller von Automatisierungstechnik und ein Wermutstropfen für den Rest von uns bleibt allerdings: Es handelt sich beim Ölpreis um ein komplexes, sich selbst regulierendes System.
Momentan wird zwar nicht viel investiert. Dadurch leiden die Zulieferer, der Endkunde hingegen freut sich (außer, er verliert dadurch seinen Arbeitsplatz).
Irgendwann sinkt allerdings auch bei den in der Förderung stehenden Quellen die Förderquote (neue, “frische” Quellen liefern am meisten Öl) – und dann steigt der Ölpreis wieder, weil Öl knapper wird, und es lohnt sich wieder, in neue Förderstätten zu investieren; egal, ob die dann im Nahen Osten oder in den kanadischen Schiefersand-Gebieten liegen oder das Fracking in den USA wieder Aufschwung erhält.
Für die Ausstattung der neuen Förderstätten fragen die Ölförderer dann wieder Automatisierungstechnik nach, und der Kreislauf beginnt von vorne.